12. Hörfest Neue Musik

Die innere Stimme

Neue Musik und der “Abgrund der Gefühle”

Wenn im Zusammenhang mit Musik von einer „inneren Stimme“ die Rede ist, so ist weniger jene moralische Instanz gemeint, die als Gewissen bisweilen im Alltag zu uns spricht. Eher schon sollte man an die Musik der Romantik denken, insbesondere an Robert Schumann und seine Humoreske op. 20. Hier versucht ein Komponist erstmals ausdrücklich, eine musikalische Ebene zu erschließen, die jenseits des Wahrnehmbaren liegt, eine ausnotierte „innere Stimme“, die nicht mitgespielt, nur mitempfunden wird. Der Interpret möge „zwischen den Zeilen lesen“, bemerkt Schumann. So spekulativ die Idee auch sein mag, sie führt ins Zentrum romantischen Musikverständnisses, in jene geheimnisvollen Abgründe, die sich dem analytischen Zugriff entziehen.

Auch für den Interpreten spielen solche Überlegungen eine wichtige Rolle. Man spricht vom beseelten Spiel, umgekehrt von einer seelenlosen Wiedergabe des Notentextes. Wie die Aneinanderreihung von Tönen noch keine Melodie ergibt, braucht es scheinbar eine bestimmte mentale Stimmung, um der Wiedergabe Einheit und Zusammenhalt zu verleihen, eine innere Stimme eben, die die Mannigfaltigkeit der Töne durchzieht und sinnfällig verbindet.

Der Aufbruch in die musikalische Moderne ging einher mit einer radikalen Abkehr von solchen spekulativ anmutenden Vorstellungen, hin zu einem Positivismus, der nur empirisch überprüfbare Fakten gelten lässt. Hieraus schöpft das Hörfestthema seine kontroverse Energie. Gibt es so etwas wie ein inneres Band, das dem musikalischen Erleben ästhetische Einheit verleiht – oder ist diese Einheit allein Produkt analytisch formal greifbarer Strukturbeziehungen? Auf verschiedene Weise werden sich die Hörfest-Beiträge mit diesem Thema befassen, von der Adaption romantischer Ästhetik bis zur radikalen Negierung aller Innerlichkeit.

Programm des 12. Hörfest Neue Musik