“Klangreise durch Zeit und Raum”, NMZ November 2014

Das 5. Hörfest Neue Musik baute mit Exkursionen zu besonderen Orten Brücken zwischen Tradition und Moderne

  • Ein Artikel von Christine Longère
    Ausgabe: 11/2014 - 63. Jahrgang

    (nmz) - Klangfenster an besonderen Orten zu öffnen, nahm sich die Initiative Neue Musik in Ostwestfalen-Lippe vor. „Wir wollen Raum und Musik in Beziehung setzen und dadurch zum Verständnis der Klangsprache des 20. und 21. Jahrhunderts beitragen“, erläutert der Komponist und Oboist Jörg-Peter Mittmann, Leiter des Ensemble Horizonte Detmold und Mitorganisator des Hörfestes Neue Musik, das Konzept. Auf zwei Routen mit insgesamt zwölf Stationen wurde Verbindung hergestellt zwischen Alt und Neu, zwischen mittelalterlichen Klöstern und moderner Architektur, zwischen Musik der Renaissance und der Gegenwart.

    Durch Veranstaltungen, Dokumentation und Öffentlichkeitsarbeit zur Auseinandersetzung anzuregen und die Publikumsresonanz zu vergrößern, ist Zweck der 2010 ins Leben gerufenen Initiative Neue Musik in Ostwestfalen-Lippe. Eine besondere Rolle spielt dabei die Musikvermittlung in Zusammenarbeit mit Partnern wie der Hochschule für Musik Detmold, dem Detmolder Landestheater und der Klangwerkstatt Detmold. Ein Podium für die Präsentation aktueller Aktivitäten bietet das alljährliche Hörfest Neue Musik.

    „Vom Klang des Wassers“, „Klangfarben – Farbenklänge“, „Musik und Sprache“ und „Mythos und Moderne“ waren Themen der bisherigen Hörfeste. In diesem Jahr ging die Initiative neue Wege, indem sie nicht nur Konzerte, sondern darüber hinaus zwei Ganztagsexkursionen mit Stationen an „Orten des Hörens“ anbot. Kurzprogramme waren auf die Atmosphäre des jeweiligen Raumes abgestimmt und schlugen Brücken zwischen Tradition und Moderne. Bei einem abendlichen Zwischenspiel zwischen den Rundreisen gewährte das Ensemble Sturm und Klang aus Brüssel in der Kulturfabrik Hangar 21 in Detmold einen beeindruckenden Einblick in die aktuelle belgische Musikszene.
    Der Prolog zum Hörfest im Landestheater Detmold machte die Idee des Zusammenwirkens von Raum und Klang sinnfällig. Werke wie „Theseus“ von Murray Schafer oder „Pour le Tombeau d’Orphée“ von Marius Flothuis verliehen dem Begriff Musentempel klangvolle Bedeutung.

    Gelegenheit zu Entdeckungen und anregenden Begegnungen vielfältiger Art boten die Exkursionen. Die Route führte am ersten Tag durch den Kreis Höxter, am zweiten Tag vom Weserrenaissancemuseum Schloss Brake über Lemgo und Herford nach Bielefeld. Einfühlsam setzten sich die ausführenden Musiker mit der Idee einer Klang- und Zeitreise auseinander. In wechselnder Besetzung, teilweise auch solistisch, faszinierten Mitglieder des Ensemble Horizonte, des Artwork Ensemble sowie das Vokalensemble ColVoc und der Organist Friedhelm Flamme ihre Zuhörer mit außerordentlichen interpretatorischen Fähigkeiten.

    „Du bist ganz im Zauber einer alten und verfallenen Landschaft“, heißt es in einem Gedicht des chinesischen Dichters Su Dongpo aus dem 11. Jahrhundert, das Günter Eich ins Deutsche übertrug. Younghi Pagh-Paan wählte die Verse als Vorlage für ihr Flötenstück „Rast in einem alten Kloster“, das in der ehemaligen Klosterkirche Gehrden erklang. Den Zauber der zwar alten, jedoch keineswegs verfallenen, sondern vielmehr von kulturellen Initiativen belebten Landschaft verstärk-ten die Konzerterlebnisse. Fragilität und Transparenz kennzeichneten die Kompositionen „Façades revisited“ aus „Glassworks“ von Philip Glass und „kristallin“ aus „Gegenstücke“ von Jörg-Peter Mittmann, die den lichtdurchfluteten Leonardo Glass Cube in Herste, herausragendes Beispiel für die Baukunst im 21. Jahrhundert, mit zarten, nuancierten Klängen erfüllten.

    Von Orten „wandelbar in der Zeit“ ist in einem – von Younghi Pagh-Paan für Mezzosopran und Viola vertonten – Gedicht der Lyrikerin Rose Ausländer die Rede. Das Westwerk der kürzlich zum Weltkulturerbe ernannten Corveyer Abteikirche ließ diesen Wandel in besonderer Weise erlebbar werden. Eine tausendjährige Entwicklung von den Meis-tern der Notre-Dame-Schule Leoninus und Perotinus bis zur Orgelsymphonie von Walter Steffens nach Bildern von Marc Chagall spiegelte das Konzert in der Abteikirche Marienmünster wider.

    Einen weihevollen, dem Ernst des großartigen Werkes angemessenen Rahmen bot die Herforder Kirche St. Johannis für die Aufführung von George Crumbs Streichquartett „Black Angels“. Der Bogen schloss sich mit „himmelwärts“ von Malika Kishino in der Kunsthalle Bielefeld, wo Jörg-Peter Mittmanns Werk „Jenseits der Bläue“ zum spannenden Dialog von Musik und Kunst beitrug.

    https://www.nmz.de/artikel/klangreise-durch-zeit-und-raum

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